Als wahres Tai Chi Chuan kann man ein Tai Chi bezeichnen, gleich welchen Stils, das auf den Grundlagen eines authentischen Qi-Gong aufbaut und dieses als seinen eigentlichen wahren Kern pflegt. Tai Chi Chuan ist in vielerlei Hinsicht Qi Gong in Bewegung. Die ganz besonderen Phänomene, welche man bei sehr fortgeschrittenen Praktikern des Tai Chi beobachten kann, entstehen vor allem durch die praktische Anwendung und Umsetzung der Prinzipien der Mitte und der Wohlspannung oder Gegensatzspannung. Dieses ist das Wichtigste Prinzip und die primäre Grundlage des Tai Chi Chuan. Wird Tai Chi Chuan solcherart ausgeführt, dann ist es “von Kraft erfüllt”, auch wenn keinerlei körperliche Kraft aufgewendet wird. Und der Anwender kann diese Kraft auch spüren, entweder wie ein wie ein dichtes Fluidum, welches ihn umgibt – oder als ein Empfinden großer Leichtigkeit, ja Schwerelosigkeit.
Das Tai Chi wurde ursprünglich als Kampfkunst entwickelt, seine hervorragende Wirkung auf die Gesundheit und seine entspannende, zentrierende Wirkung ist gerade heute oft gesucht. Der ursprüngliche Zweck des Tai Chi aber war es, einen Opponenten mit Hilfe und unter Anwendung der Lebenskraft bzw. des Prinzips der Mitte zu besiegen. Dessen adäquate Umsetzung ermöglicht ein scheinbares Paradoxon: Dass nämlich gerade derjenige den Vorteil besitzt, welcher die geringste physische Kraft aufwendet und in all seinen Bewegungen “in sich selbst ruht”, d.h. den Gegner eigentlich gar nicht mehr meint. Dies sind die hohen Stufen des Tai Chi Chuan.
Um zu testen, wie sehr man selbst die Prinzipien des wahren Tai Chi Chuan anwenden und umsetzen kann, bedient man sich ggf. dem Tuishou (“schiebende” oder auch “klebende Hände”), einer Partnerübungen. Dabei geht es darum, das Zentrum (Tiefenpunkt, Mitte) des anderen zu erfühlen – dies ist der archimed´sche Angelpunkt, über welchen jeder Körper am effizientesten und dabei auch noch am leichtesten, mit dem geringst nötigen Kraftaufwand, beeinflusst werden kann.
Dieses Gespür für das Prinzip der Mitte bzw. der Wohlspannung, die den wahren und wesentlichen Kern des Tai Chi darstellt, wird durch die Standübungen des Zhang Zhuang ausgebildet, welche eine der vielen möglichen Form des Qi Gong darstellen – da sie auch das Meridiansystem des Menschen, die Energieleitbahnen, günstig beeinflussen und den Fluss der Energie im Körper fördern. Darüber hinaus übt vor allem auch der Zustand der Mittigkeit/Wohlspannung grundsätzlich immer einen sehr günstigen, ausgleichenden und harmonisierenden Einfluss auf den Körper aus.
Die Standübungen des Zhang Zhuang waren also immer das wesentliche und eigentliche Fundament, die eigentliche Kraftquelle, des Tai Chi Chuan und auch aller anderen “inneren” Kampfkünste. Im Grunde baut sich das Fundament eines wahren Tai Chi Chuan aus drei grundlegenden Komponenten auf:
Im Shili schließlich wird dieses Empfinden nämlich aus der bloßen Standposition hinein in die aktive Bewegung übertragen. Allerdings, anders als beim Tai Chi Chuan, zunächst nur durch sehr geringe körperliche Bewegungen. Für einen außenstehenden Betrachter müssen solche Bewegungen gar nicht oder nur kaum ersichtlich sein – das Eigentliche findet viel mehr innerlich statt, im Geist und auf der Ebene von kleinsten Muskelimpulsen. Das Shili gleicht einem “energetischen Bodybuilding”, es bewirkt ein immer stärker werdendes Empfinden einer Art “Körperkraftfeld”.
Da sich Shili der haargenau gleichen Prinzipien wie das Tai Chi Chuan bedient, sich diese im Shili aber, aufgrund der sehr geringen Körperbewegungen sehr einfach und leicht zu erspüren üben lassen, kann Shili, das also wiederum nichts anderes ist, als eine Weiterentwicklung der Ebene der Standübungen im eigenen Training, eben als eine ideale Zwischenstufe und Vorbereitung zum Tai Chi Chuan betrachtet werden.
Eine bedauernswerte Tatsache besteht leider darin, dass viele Menschen glauben, das “Tai Chi sei viel zu kompliziert, um es richtig oder gar eigenständig zu erlernen”. Aus diesem Grund geben leider nicht Wenige wieder auf – oder fangen gar nicht erst an. Dieser Glaube aber ist falsch!
Wahr ist hingegen: Viele Ausbilder vermitteln das Tai Chi einfach viel zu kompliziert, zu kopflastig, zu theoretisch – und ohne Kenntnis der oben angeführten Grundlagen. Es fließt dann keine Kraft, und deshalb legt sich der Praktizierende zu sehr auf Äußerlichkeiten und äußere Feinheiten fest, bis der wahre und lebendige Geist des Tai Chi Chuan verloren geht und man nur noch auf “Haltungsdetails” achtet. Im wahren Tai Chi Chuan ist die Haltung übrigens gleichgültig. Jeder Schüler muss sich das immer wieder und immer wieder klar machen! Wie sonst könnten Kampfkünste und Stile, die absolut verschiedene Bewegungen aufweisen – aber dabei dennoch nach denselben Grundlagen (siehe oben, Wohlspannung, Mittigkeit) vorgehen? Und am schönsten sieht man dies – dass die körperliche Technik und Haltung eigentlich keinerlei Rolle spielt – gerade bei den Video-Demonstrationen großer Meister, welche Sie unten auf dieser Seite finden. Sie bestätigen das eben Gesagte eindrucksvoll: Man sieht alte und bereits gebeugte Greise, die eigentlich NICHTS tun – und dabei dennoch junge Männer spielend leicht besiegen. Ohne den Einsatz von Körperkraft.
Die Haltungsdetails, deren Wichtigkeit immer wieder so gerne betont wird – dienen vor allem nur dazu, einem dabei zu helfen, die Mittigkeit/Gegensatzspannung besser zu erspüren. Sie sollen einem Dienen – als kreative Spiel- und Werkzeuge. Sie sollen einen aber nicht knechten.
Wahres Tai Chi ist also so einfach wie Essen, Atmen, Schwimmen – wenn man einmal begriffen hat worauf es ankommt. Weder beim Atmen, Essen noch beim Schwimmen kommt es auf Millimeterbewegungen an – sondern wir müssen einfach nur generell das Richtige tun. Wenn man diesen Kern begriffen hat, dann ist man in seinen Bewegungen frei, solange man nur die Grundlagen der Energieführung beachtet.
Sobald man, durch korrektes Qi-Gong-Training, den Strom der Lebensenergie deutlich fühlt benötigt man auch hier nicht zwingend einen Lehrer – man beginnt das Tai Chi lebendig zu begreifen.
Zhang Zhuang - Die Standpositionen
Die erste Ebene des oben geschilderten Trainings des Tai Chu Chuan mit seinen drei Komponenten, findet der interessierte Leser im ersten und im zweiten Band der Reihe "Professionelles Qi Gong" ausführlich in Theorie und Praxis wiedergegeben. Behandelt werden in diesen beiden Bänden vor allem die Standübungen (Zhang Zhuang) des Qi Gong.
Shili - Das Prinzip der Wohlspannung
Die zweite Komponente verlangt ein etwas umfassenderes Studium - nicht weil sie kompliziert wäre. Überhaupt nicht. Man kann sie sofort üben und sogar zu erspüren beginnen. Mit den jeweils zweiten Bänden der Reihe "Professionelles Qi Gong" bzw. "Kompendium der universalen Lebenskraft" kann man sofort mit der Praxis des Erspürens der Wohlspannung beginnen. Wer aber tiefer eindringen will in das Geheimnis, das Mysterium der Mitte und damit eben des TAO (dessen körperliche Spiegelung eben der Tiefenpunkt des Körpers in der Nabelgegend darstellt), dem sei auch der dritte Band der Reihe "Professionelles Qi Gong - Das TAO-Prinzip" ans Herz gelegt.
Professionelles Tai Chi Chuan
In diesem Band schließlich findet der geneigte Leser die komplette und vollständige Form des Tai Chu Chuan im Cheng Man Ching-Stil mit allen 37 Bewegungssequenzen in allen Einzelheiten und (ohne Übertreibung) tatsächlich Schritt für Schritt beschrieben - übersichtlich und mit Hilfe von hunderten klaren Abbildungen. Mein Tipp: Benutzen Sie dieses Buch als gründliches Schritt-für-Schritt-Nachschlagewerk zusammen mit einer entsprechenden DVD oder einem YouTube-Video der Cheng Man Ching-Form.
Video-Demonstrationen: Von der Unwichtigkeit der "perfekten Haltungsdetails"
Diese Demonstrationen großer Meister beweisen eindeutig - es sind weder Form, noch Haltung noch Stil, welche zählen und den Ausschlag geben. Sondern all diese Dinge sind nur Werkzeuge, die einem eine Hilfe sein sollen - aber niemals ein "Anspruch".